Noch einmal mit Gefühl
Das Haus an der 275 Church Street ist auf den ersten Blick so unscheinbar, dass ich daran vorbeigehe.
Es steht zwischen zwei angesagten Bars (Burlesque und Souths) inmitten von Tribeca.

Ich gehe bis zum Ende des Blocks und vergewissere mich auf Google Maps der Adresse:
Mela Foundation, 275 Church Street, es muss hier irgendwo sein.
Ich mache kehrt und konzentriere mich nun hauptsächlich auf die Hausnummern.

297....295...293...291...289...287...285..283...281...279...277...275.




275

Ich stehe vor dem Eingang der Pizzeria Da Mikele By Luzzo. Verunsichert schaue ich mich nach einem alternativen Eingang zum Haus um. Rechts, gleich neben dem Illy Kaffee Aufkleber mit dem die Pizzeria für guten Kaffee wirbt, sehe ich eine schmale, schwarze Tür. Ausser einem A4 Blatt mit einer relativ schwammigen schwarz-weiss Abbildung und den Öffnungszeiten verweist nichts auf das Dream House.
Das Gebäude hat drei Stockwerke, für jedes Stockwerk eine Klingel. 1# La Monte Young & Marian Zazeela, 2# Dream House, daneben eine handgeschriebene Notiz RING HERE, 3# Mela Foundation/ Archive.


275 Church Street
Ich klingle also bei 2#. Der Buzzer summt, ich stosse die Tür auf. Im Treppenaufstieg wirkt das Haus viel schmaler als von aussen. Der Boden und die Treppen sind mit grau-blauem Teppich bezogen, die Wände sind weiss. Der Geruch von Räucherstäbchen ist nicht zu ignorieren. Vor der Wohnungstür im Ersten Stock stehen ein Paar Winterstiefel und ein Paar Sandalen. Der Geruch von Patschuli und Sandelholz wird immer intensiver. Von irgendwoher nehme ich ein leises Dröhnen wahr. Vor der Eingangstür im Zweiten Stock stehen drei paar Schuhe neben einem niedrigen Gestell.


Darauf stehen ein paar Bücher, CDs und Schallplatten – zum Teil mit Preisschilder versehen. An den Wänden hängen Poster, kopierte Zeitungsausschnitte, ein Portrait von einem Mann. Noch bevor mir irgendjemand eine Anweisung dazu gibt, fühle ich mich aufgefordert meine Schuhe auszuziehen. Ich stelle sie neben die anderen. In dem Moment öffnet mir ein Mann in meinem Alter die Tür und heisst mich herzlich willkommen.
Er fragt mich ob ich schon mal hier gewesen bin. Ich verneine. Er schaut runter auf meine Füsse und sagt, dass er mir das mit den Schuhen ja nicht mehr zu sagen braucht. Ich lächle leicht verkrampft und nicke. Er grinst. Der Typ sieht irgendwie total breit aus. In seiner Hand hält er eine Liste in der er die Besucher dokumentiert die das Dream House besuchen. Name und Wohnort. Er macht Smalltalk mit mir, will von mir wissen was ich hier so treibe und erzählt mir von der Europa Tour mit seiner Band.
Er fragt mich wie die avantgardistische Musik Szene in der Schweiz so ist. Weil ich nicht wirklich eine Ahnung habe von der Schweizer Musik Avantgarde Szene, behaupte ich dass die Schweiz eher rückständig ist und Deutschland oder Belgien gerade viel interessanter wären. Yes totally, sagt er, I love Berlin. Mein Verdacht scheint sich zu bestätigen, der Typ hört nicht auf zu grinsen und mir fällt auf, dass seine untere Zahnreihe ziemlich schwarz ist. Was nicht auf seinen momentanen Zustand schliessen lässt aber, Er sieht schon ziemlich ungesund aus – denke ich.

Mein Blick schweift zu dem Gestell. Relativ ziellos nehme ich ein Buch in die Hand und blättere ein wenig darin, der junge Mann macht mich darauf aufmerksam, dass das Buch vergriffen ist und auf Abe Books 400$ kostet, aber dass ich auch ein PDF davon im Internet finden würde. Thank you, ich lege das Buch zurück. Er greift hinter das Gestell und nimmt einen kleinen Bündel Papier hervor–das Presskit und drückt es mir in die Hand, Thank you very much. Unmittelbar neben der Türe steht ein Sockel, darauf eine transparente Plexi-Box mit einem Schlitz, gefüllt mit ein paar Dollar Noten. Er gibt mir noch einige Informationen zum Dream House und sagt, dass ich donaten kann was auch immer ich will–empfohlen seien 9$.
Er öffnet mir die Tür zum Dream House. Ich trete ein und höre noch wie hinter mir die Tür ins Schloss fällt.
Es gibt zwei Räume die durch den Flur verbunden sind in dem ich gerade stehe. Die einzige Tür auf dem Stock führt zu den Toiletten. Der Teppichboden vom Treppenhaus zieht sich hier weiter. Die Farbe kann ich durch das diffuse Licht nicht erkennen. Alles schimmert in einer Mischung aus Rot und Blau. Ich versuche die Lichtquelle ausfindig zu machen und schaue nach oben: Dream House | Dream House |Dream House |Dream House symmetrisch gespiegelt, steht in Blau-Roter Neonschrift über meinem Kopf an der Decke. Die Buchstaben sind geschwungen, ich stelle mir vor, dass das die Handschrift des Künstlers ist. Mir kommt dieser Trailer in denn Sinn den ich gestern Nachmittag im Kino gesehen habe für Inherent Vice, da war quasi der Titel des Filmes in Neon Buchstaben und am Schluss des Trailers haben die dann auch noch geflimmert. Ich gehe den Flur entlang nach links, in Richtung des Dröhnens. Der Sound wird lauter. Der Raum in dem die Boxen aufgestellt sind ist etwa sieben mal neun Meter gross. Die Fenster die zur Strassenseite zeigen sind mit einer Folie beklebt die das Tageslicht dimmen. Dahinter kann ich die Skyline der Stadt erkennen, gefärbt in mildem Rosa. In Jeder Ecke des Raumes stehen menschengrosse Boxen aus denen das Dröhnen erklingt. Ich denke an Stanley Kubricks Monolith – Der Moment wo Kultur in unser Bewusstsein tritt. Der Ursprung der Bewusstseinsveränderung gewissermassen.
Ausser mir scheint niemand hier zu sein. In dem mit Teppich aus-gelegtem Raum sind Kissen verteilt, ich nehme mir eines und setze mich mit dem Rücken zur Wand. Über der gegenüberliegenden Wand schweben zwei durchschnittene Kreise, kringelartige Mobiles aus einem leichten Material, sie werden mit jeweils einem roten und einem blauen Spot beleuchtet. Ihre Körper werfen einen oder zwei Schatten auf die Wand. Je nach dem wo man sich im Raum aufhält. Der Sound ist immer da. Es ist fast unmöglich dem Gehörten und dem Gesehenen gleichzeitig gleich viel Aufmerksamkeit zu schenken. Es wirkt als würden Beide meine Sinne gleichlaufend beanspruchen.
An der rechten Rückwand steht ein Schrein mit einer Portrait-Aufnahme von einem Mann (ich erkenne den Mann vom Foto im Treppenhaus), einer kleinen länglichen Schale in der ein Räucherstäbchen langsam zu Asche zerfällt und ein weiteres, kleineres Foto welches La Monte Young gemeinsam mit dem Mann vom Portrait zeigt. Dieser Mann, werde ich später lesen, war Pandit Pran Nath ein nordindischer Musiker, bei dem Young seit den 70er Jahren regelmässig Unterricht in traditionellem Kirana Gesang nahm. Pandit Pran Nath war nicht nur sein musikalischer Gelehrter, vielmehr noch war er sein spiritueller Führer. Ich höre wie die Tür aufgeht und der Mann mit den schwarzen Zähnen in den Raum kommt und schaue ihm zu wie er ein neues Räucherstäbchen anzündet, dann verschwindet er wieder im Flur. Ich lege mich auf den Rücken und schliesse die Augen. Mit geschlossenen Augen fällt es mir verständlicherweise leichter mich auf den auditiven Part der Installation einzulassen. Ich kann die verschiedenen Töne wahrnehmen, die eine Art Teppich bilden. Ich drehe mich zur Seite und kann in der Bewegung eine Veränderung in der Frequenz wahrnehmen.
Es ist wirklich sehr ange-
nehm so in der Kunst rumzu-liegen. Das Ende des Flanie-
rens sozu-
sagen.
Bei der Documenta 5 in Kassel waren Young und Zazeela eingeladen im Dachstock des Friedericianums ihr Dream House aufzuführen. Sie performten und musizierten während der Dauer der Ausstellung gemeinsam mit Freunden und Mitgliedern des von ihnen gegründeten Theater of Eternal Music. Auf der Homepage des aktuellen Dream Houses gibt es auch eine Event-Rubrik. Das letzte Konzert fand im November 2014 in Memoriam zu Pandit Pran Naths 96. Geburtstag statt. Für einen kurzen Moment denke ich darüber nach mich in die Mitte des Raumes zu setzen, dann ist mir aber doch nicht danach, ich stehe auf und setze mich an die gegenüberliegende Wand. Hier ist wieder das gleiche Spiel mit den Kringeln. Oberhalb der Wand an der ich zuvor gesessen habe: Schatten von durchbrochenen Kreisen. Das Dröhnen nicht vergessen. Es ist immer da. So präsent, dass ich es fast nicht mehr wahrnehme. Das Presskit, das mir der black-toothed Typ gegeben hat liegt auf meinem Schoss. Ich überfliege die Artikel und rechne mir aus, wie alt sie waren als sie geheiratet haben: La Monte Young war achtundzwanzig und Marian Zazeela dreiundzwanzig. Different Times, denke ich. Der Sound hat eine ziemlich beruhigende Wirkung auf mich, würde ich hier – in dieser Stadt – leben könnte ich mir durchaus vorstellen manchmal herzukommen um zu lesen oder nachzudenken. Obwohl, beruhigend ist das falsche Wort. Was ich meine, ist eher eine Schärfung der Sinne, ich bin sehr konzentriert und habe das Gefühl, ich könnte mich gerade sehr klar formulieren wenn ich müsste. Dass die Künstler beinahe in ihrer Arbeit leben, fand ich beim betrachten der Klingelschilder eher erstaunlich, gerade kann ich das aber relativ gut nachvollziehen. Jetzt erst bemerke ich, dass ich noch immer meinen Mantel trage, nicht weil mir kalt ist, ganz im Gegenteil hier drinnen ist es angenehm warm, mehr weil es mein Gemütlichkeitsgefühl steigert.
The very first sound that I recall hearing was the sound of the wind blowing through the chinks and all around the log cabin in Idaho where I was born [...]
It was very awesome and beautiful and mysterious.
, Some Historical and Theoretical Background on My Work
La Monte Young
, 1987
Der Zettel mit dem die Tür zu den Toiletten beschriftet ist, sieht aus als würde er schon seit mindestens dreissig Jahren hier hängen. Ich traue mich nicht, den Lichtschalter zu betätigen, bevor ich die Tür nicht hinter mir zugezogen habe. Das Licht der Toiletten würde die ganze Stimmung zerstören. Aus dem Badezimmer raustretend bietet sich mir ein neues Szenario: Das junge Pärchen küsst sich nun nicht mehr. Sie weint und er streichelt mit seiner tröstenden Hand ihr Gesicht. Obwohl mir nicht sonderlich danach ist, setze ich mich zu ihnen in den Raum. Der Raum ist um einiges kleiner als der Erste. Das Dröhnen ist hier nach wie vor wahrzunehmen, jedoch weniger laut, da es hier keine Boxen gibt. Ich konzentriere mich auf die Figur vor mir–
obschon es mir nicht ganz leicht fällt, diese anderen
Leute zu ignorieren. Dieses Etwas das da vor mir
Wie lange ich in diesem Raum gesessen habe, weiss ich nicht genau, weil ich habe mir vorgenommen nicht auf die Uhr zu schauen. Ich stehe auf und – Tatsächlich verändern sich die Frequenzen oder die Intervalls-Abstände auf Grund meiner Bewegung. Mir ist schwindlig und ich taste mich der Wand entlang zu den Toiletten. Ein bisschen fühlt es sich so an als würde der Boden nachgeben. Am Ende des Flurs sitzt ein junges Pärchen, ich bin überrascht, hab ich mich doch alleine im Dream House vermutet. Sie knien voreinander auf dem Boden und küssen sich innig. Mir ist es ein wenig unangenehm und ich bin mir nicht sicher, ob ich jetzt neidisch bin, oder ob ich das eher ein bisschen too much finde. Was nicht am Kuss liegen würde-sondern am Setting, bzw. am Kontext. Hinter ihnen an der Wand ist eine weitere Lichtskulptur montiert: Drei verschieden grosse Rechtecke, übereinander gelegt, mit jeweils einem roten und blauen Spot beleuchtet. Die Schatten der Kanten erzeugen einen 3D- Effekt und lassen die Figur im Raum schweben. Ich denke an diesen Franco Battiato Song: No Time No Space […] the sea of the simulation, keep your feelings in memories […] Diese Räume haben tatsächlich eine zeitlose Wirkung auf mich.
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schwebt macht einen zeitlosen Eindruck. So wie das Dröhnen, das kontinuierlich vor sich weiter rauscht. Nach gefühlten zehn Minuten stehe ich auf. Ich habe zwar nicht wirklich Lust das Dream House zu verlassen und nach Draussen zu gehen, hier in diesem Raum möchte ich aber auch nicht bleiben. Ich gehe den Flur entlang und werfe noch ein Mal einen Blick in den ersten Raum. Dort auf dem Teppich liegen jetzt drei Leute. Grund genug zu gehen. Wieder draussen auf der Strasse werde ich von all den Eindrücken schier erschlagen. Zu viele verschiedene Lichter, zu viele verschiedene Laute, zu viele Leute. Ich stehe vor dem Haus und es fällt mir unglaublich schwer mich zu bewegen. Meine Orientierung ist weg. Dieses Gefühl hatte ich zuvor erst ein Mal im Leben. Dass ich nicht wusste wohin. So sehr nicht wusste wohin, dass ich zunächst einfach stehen geblieben – und dann ziel-und rastlos durch die Gegend fast gerannt bin. Das ist ein sehr unheimliches Gefühl finde ich. Wie um mich meiner Selbst zu vergewissern singe ich leise vor mich hin. Controllori di volo pronti per il decollo.Telescopi giganti per seguire le stelle navigare navigare nello spazio nello spazio... di pi. No Time No Space another Race of Vibrations, the Sea of the Simulation keep your feelings in memories, I love you especially tonight.
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